
Boston – Third Stage
(Erscheinungsjahr: 1986)
Manchmal dauert’s halt ein bisschen länger – und bei Boston waren’s dann eben auch mal acht Jahre. Third Stage erschien 1986, Jahre nach dem gefeierten Don’t Look Back, und nein: Niemand hätte sie ernsthaft dafür gehasst, wenn das Ding in alle Einzelteile gefallen wäre. Aber: Tom Scholz wäre nicht Tom Scholz, wenn er in der Zwischenzeit nicht sämtliche Studiotechnik eigenhändig auseinander- und wieder zusammengebaut hätte. Ergebnis: Das hier klingt nicht nach 80ern. Es klingt nach Scholz. Pur.
Einstieg mit Turbo – aber auf Autopilot
„Amanda“ eröffnet das Album – weich, gefällig, radiotauglich bis zum Anschlag. Und ja, das war die große Hit-Single, obwohl sie sich wie ein Softrock-Wölkchen anfühlt, das in der Gitarrenwand dann doch lieber schlafen geht. Für die Band war’s die Wiedergeburt, für die Rockpresse: zu glatt. Ich sag: Passt schon. Ein Song, der weiß, was er ist – kein Überflieger, aber auch kein Absturz. Und Brad Delps Stimme? Wieder da, wieder stark, wieder viel zu unterbewertet.
„We’re Ready“ – mehr als nur Titeltrack-Energie
Der nächste Track bringt die Motoren auf Temperatur. „We’re Ready“ ist genau das, was Boston immer gut konnten: Hymnisch, harmonisch, Hookline auf Steroiden. Der Sound hat Tiefe, ohne überladen zu wirken. Man hört jedem Gitarrenton an, dass Scholz die letzten acht Jahre damit verbracht hat, einzelne Frequenzen zu polieren. Das ist nicht Bandfeeling – das ist Hightech-Emotion. Und es funktioniert.
Zwischenspiel oder Konzeptalbum?
Was dann kommt, fühlt sich wie ein instrumentales Zögern an: „The Launch“ ist in drei Teile zerlegt, darunter „Countdown“ – 30 Sekunden Synthesizer, der ein bisschen nach EBM für Luftfahrtmechaniker klingt. Braucht man das? Nicht unbedingt. Aber als Teil des (halbherzigen) Konzeptalbum-Ansatzes ist es in Ordnung. Man hat halt viel Zeit gehabt – und irgendwohin musste die Kreativität ja.
„Cool the Engines“ – der versteckte Star
Viel zu oft übersehen, dabei einer der stärksten Tracks des Albums. „Cool the Engines“ schaltet von AOR auf Fast-Forward und liefert genau die Art von energiegeladener Struktur, bei der man merkt: Hier hat jemand mit Liebe zum Detail komponiert – und dann noch drei Wochen lang an der Hi-Hat gearbeitet.
Delp singt sich einmal quer durchs Oktavfeld, die Chöre schieben wie eine warme Wand. Wer nach der Nummer noch behauptet, Boston wäre nur „nett“ oder „routiniert“, hat vermutlich nie einen Verstärker gesehen, geschweige denn aufgedreht.
Balladen, Bombast und ein bisschen Kitsch
„My Destination“, „To Be a Man“, „Still in Love“ – das sind alles solide Songs, wenn auch nicht ganz ohne die Gefahr der Kitschgrenze. Wer bei „To Be a Man“ nicht kurz an Peter Cetera denkt, lügt oder war nie in den 80ern. Aber das ist okay. Boston dürfen das. Denn selbst wenn’s mal ein bisschen zu gefühlig wird, bleibt das Handwerk stets sauber, das Arrangement durchdacht und der Sound klar wie ein frisch polierter Gitarrenhals.
Finale: „Hollyann“ – das große Herz
„Hollyann“ ist der perfekte Rausschmeißer. Wehmütig, melodisch, mit dieser unterschwelligen Melancholie, die Boston immer dann am besten beherrscht, wenn sie sich nicht zwingen, auf den großen Refrain zu hämmern. Der Song schließt den Kreis – musikalisch, emotional, atmosphärisch. Und das auf eine Weise, die man ihnen nach so vielen Jahren Pause gar nicht mehr zugetraut hätte.
Fazit: Kein Don’t Look Back – aber ein verdammt solides Comeback
Third Stage ist kein Album, das alles verändert. Aber es ist auch kein Aufguss. Es ist technisch brillant, musikalisch ausgereift und emotional überraschend ehrlich. Wer auf Rock mit Hochglanzfinish steht, wird hier fündig – und wer bei „Amanda“ abschaltet, hat die zweite Hälfte des Albums sowieso nicht verdient.
8 von 10 Punkten
(Und ein Ehrenpunkt für die Geduld.)